Seit September diesen Jahres wird der Turm des Oldenburger Schlosses grundlegend saniert, da Wind und Wetter der Holzkonstruktion der Turmhaube über die Jahre stark zugesetzt haben.
Das Schloss als ehemalige Residenz der Grafen und Herzöge von Oldenburg, wurde unter Graf Anton Günther zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu einer Vierflügelanlage umgebaut und erhielt bei diesem Umbau in den Jahren 1608 bis 1610 einen neuen Schlossturm mit hölzerner Haubenkonstruktion.
Wie ein Artikel in der Nordwest-Zeitung vom 30. Oktober berichtet, wurde bei der laufenden Sanierung überraschenderweise eine kleine Glocke in der Turmlaterne entdeckt, die verdeckt neben einer größeren Glocke hängt.
Zeitungszitat: „Für die Restauratoren hielt die Laterne eine Überraschung bereit. Entdeckt wurde eine kleine Glocke, die vor vielen Jahrzehnten abgeschaltet wurde, weil sich an ihrem Klang einige Anlieger störten.“
Hier stellt sich für den Verfasser bereits die Frage, warum man von dem Fund der kleinen Glocke überrascht wurde. Es scheint sich um eine schlechte Vorbereitung des Projektes gehandelt zu haben. Denn von einem Überraschungsfund kann keine Rede sein, wenn man vorher einen Blick in die einschlägige, regionale campanologische Literatur getätigt hätte. Dann hätte man nämlich gewusst, dass sich schon immer zwei Glocken im hölzernen Turmaufsatz befunden haben, eine große Glocke die für den Stundenschlag ausgelegt war und die kleine Glocke, welche den Viertelstundenschlag gab. Beide Instrumente sind als Uhrschlagglocken allerdings nicht in verkürzter Rippe, sondern als Läuteglocke gegossen und unter Umständen auch einmal als solche verwendet worden, was man durch das hohe Alter der Instrumente annehmen könnte. Eine genaue Untersuchung beider Glocken könnte hier Klarheit bringen.
Bei der großen Glocke des Oldenburger Schlossturmes handelt es sich um ein Instrument des bedeutenden Osnabrücker Glockengießers Johann Frese (Van-Wou/ Wolter-Westerhues-Schüler). Die Glocke wurde von ihm im Jahre 1507 gegossen und ihrer Inschrift nach dem Heiligen Nicasius (sic!) geweiht. Schon dieses Instrument ist von historischer Werthaftigkeit, jedoch darf sich die kleine Glocke des Schlossturmes als ein ganz besonderes kulturhistorisch und campanologisch bedeutendes Instrument rühmen.
Über die kleine Glocke berichtete die Nordwest-Zeitung am 8. November mit der Überschrift „Glocke ertönt wohl nie wieder – Fund aus Laterne des Schlosses verschwindet im Magazin“ folgendes und bildet das Instrument sogleich im Foto ab:
„Ein Schmuckstück ist sie nicht, die Glocke ist grob gearbeitet. Beispielsweise sind die Gusszapfen noch zu sehen, und sie muss nicht das Original aus dem 17. Jahrhundert sein, gibt Reinbold zu bedenken.“ [….] In die Laterne des Schlosses, die zurzeit saniert wird (die NWZ berichtete), wird die Glocke übrigens nicht zurückkehren. Das erklärte Bauoberrätin Alexandra Busch-Maaß vom Staatlichen Baumanagement Ems-Weser – zumal auch das Schlagwerk nicht mehr vorhanden ist. Reinbold wird sie nun inventarisieren und in den Bestand des Schlosses nehmen, in dem sie dann vermutlich in einem Magazin eingelagert wird.“
Hier liegt nun eine gravierende Fehleinschätzung vor. Die Glocke ist nämlich nicht nur ein Schmückstück, sie ist vielmehr ein Juwel, handelt es sich schließlich nach Erforschung durch den Verfasser um die älteste noch existierende Glocke der Stadt Oldenburg, vermutlich sogar des gesamten Kreises Oldenburg.
Nach eingehender Begutachtung des Fotos der kleinen Glocke in der NWZ kommt der Verfasser zu dem vorläufigen Ergebnis, dass das Instrument höchstwahrscheinlich bereits im 14. Jahrhundert, spätestens im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts gegossen sein muss. Dies deckt sich auch mit den Einschätzungen der älteren sekundären Fachliteratur.
Als Vergleichsglocke kann diesbezüglich die nicht mehr existierende Glocke der Kirche zu Dedesdorf (50 km nordöstlich von Oldenburg gelegen) herangezogen werden. Hierbei handelte es sich eindeutig um eine Glocke aus dem 14. Jahrhundert, die zudem starke verwandtschaftliche Beziehungen zur kleinen Oldenburger Schlossturmglocke erkennen lässt. Besteht hier womöglich sogar ein Werkstattzusammenhang?
Da die ältesten Glocken der Stadt Oldenburg bisher alle in kirchlichem Besitz waren bzw. sind, erstaunt es um so mehr, dass die nun höchstwahrscheinlich ältere Glocke des Schlosskirchenturmes sich in städtischem vormals herzoglichen Besitz befindet. Auszuschließen ist allerdings nicht, dass sie aufgrund ihres hohen Alters vormals in einer Kirche als Läuteglocke ihren Dienst versah. Dies könnten unter Umständen eingehende Untersuchungen des Instrumentes zeigen.
Bislang galten als älteste Glocken der Stadt Oldenburg:
- Eine im Jahre 1669 gegossene Glocke in St. Lamberti. Da es sich hierbei allerdings um eine Leihglocke handelt, kann sie faktisch nicht gezählt werden.
- Eine 1650 gegossene Glocke in der Dreifaltigkeitskirche zu Oldenburg-Osternburg
- Eine 1611 gegossene Glocke in der St. Marienkirche zu Oldenburg-Nadorst
- Eine 1474 gegossene Glocke in der Dreifaltigkeitskirche zu Oldenburg-Osternburg. Da es sich hierbei allerdings auch um eine Leihglocke handelt, kann sie faktisch ebenso nicht gezählt werden.
- Eine nicht mehr existierende Glocke aus dem 14. Jahrhundert der St. Lambertikirche.
Demnach ist die kleine Glocke des Schlossturmes mit Abstand das älteste Instrument, welches die Stadt Oldenburg noch besitzt.
Hieraus ergibt sich natürlich die Schlussfolgerung, dass eine Verbringung der Glocke in ein Magazin schlichtweg eine Schande wäre und als kulturell höchst fragwürdige Handlung anzusehen wäre.
Vielmehr wäre zu fordern, die Glocke öffentlich im Schlossmuseum auszustellen, zumal sie hier auch an ihrem letzten Hängungsort würdig präsentiert werden könnte. Eingestaubt mit einem angehefteten Inventarisationszettel hat sie in einem Magazin nichts zu suchen!
Leider ist eine Wiedereinbringung in den Uhrenturm nicht sinnvoll, da sie hier nötigerweise an ein Schlagwerk angeschlossen werden müsste, um nicht wieder in Vergessenheit zu geraten. Aus Denkmalschutzgründen wäre von diesem Vorhaben allerdings dringend abzuraten, da ein Uhrschlaghammer das wertvolle Instrument nur unnötigerweise schädigen würde. Hier sollte vielmehr eine neue Viertelstundenschlagglocke installiert werden, um den ursprünglichen Zustand eines einheitlichen Schlagglockenpaares wieder herzustellen und so eine historische Verbindung zwischen dem ursprünglich bedeutenden Glockenpaar und der Zeitmessung im Viertel- und Stundentakt zu schaffen.
Abgesehen von der Frage des Verbleibs der kleinen Glocke, wäre zunächst einmal eine campanologisch vollständige Untersuchung und Inventarisation inklusive Klanganalyse insbesondere der kleinen Glocke, aber auch der großen Glocke vorzunehmen, um offene Fragen zu klären bzw. um die Datierung zu sichern.
Beide Glocken stellen jede für sich ein bedeutendes campanologisch und kulturhistorisches Zeugnis dar. Die große Glocke als Gußwerk des bedeutenden Glockengießers und Van-Wou/ Wolter-Westerhues-Schülers Johann Frese, die kleine Glocke als wohl ältestes erhaltenes Instrument der Stadt Oldenburg.