Glockenstuhl

Konstruktionszeichnung Glockenstuhl
Konstruktionszeichnung Glockenstuhl

Der Glockenstuhl ist das Tragwerk für die Glocken, welches aus Holz oder Stahl gefertigt wird.

Durch die schwingenden Glocken entstehen erhebliche dynamische Belastungen für den Glockenstuhl. Vor allem die horizontalen Schubkräfte, die bis zum 3- bis 4-fachen des Glockengewichtes betragen können, müssen sinnvoll abgeleitet werden. Dazu bedarf es eines präzise konstruierten Tragwerkes, damit die Kräfte nicht im Bereich der Glocken oder etwa direkt in die Turmaußenwände abgegeben werden. Vielmehr ist darauf zu achten, dass der Glockenstuhl im Idealfall auf einem eigenen Fundament bzw. einem Unterstuhl ruht, um erst bei den Grundträgern die dynamischen Kräfte reduziert zu übertragen. Geschieht dies nicht, können im Resonanzfall die auftretenden Schwingungen zu schweren Schäden am Turm oder Kirchenschiff führen.
Um die Übertragung von Körperschall zu minimieren, ist es zudem möglich, im Bereich der Stuhlschwellen besondere Materialien zur Dämpfung zu verbauen.

Historischer Bockstrebenstuhl von St. Marien zu Greifswald
Historischer Bockstrebenstuhl von St. Marien zu Greifswald

Holz vs. Stahl

Stahlglockenstuhl der Marktkirche Hannover
Stahlglockenstuhl der Marktkirche Hannover – 11-stimmiges Geläut mit einem Glockengesamtgewicht von 22.550 kg

Glockenstühle müssen individuell für jeden Turm konstruiert und angefertigt werden. Die Materialwahl beim Bau dieses Tragwerkes spielt hierbei eine wichtige Rolle, insbesondere wenn es darum geht, sich zwischen Stahl oder Holz zu entscheiden. Für beide Arten lassen sich sowohl Vor- als auch Nachteile aufzeigen.

Ein Glockenstuhl aus Stahl bietet auf kleinen Flächen den Vorteil aufgrund der geringeren Querschnitte der Verstrebungen weniger Platz einzunehmen. In den ersten Jahren nach seinem Einbau ist er annähernd wartungsfrei, sofern ein guter Korrosionsschutz besteht. Danach muss selbstverständlich eine genauere jährliche Überprüfung erfolgen, um die Standsicherheit zu gewährleisten. Bietet der Turm ein musikalisch schlechtes Umfeld, so ist mit einem Stahlglockenstuhl auch eine schlechte akustische Entfaltung der Glocken zu erwarten. In der Regel erklingen Glocken in einem Stahlglockenstuhl härter und obertöniger, da die dämpfenden Eigenschaften von Holz fehlen.

Neukonstruierter Glockenstuhl der Stadtkirche St. Marien zu Celle
Neukonstruierter Glockenstuhl der Stadtkirche St. Marien zu Celle

Aus musikalischer Sicht ist daher in jedem Fall ein Holzglockenstuhl zu empfehlen, da sich für die Glockenmusik eine weichere Klangentfaltung ergibt. Zudem besitzt Holz als natürlicher Baustoff eine wesentlich höhere Haltbarkeit, was zahlreiche mittelalterliche Glockenstühle mit einem Alter von über 500 Jahren beweisen. In der Regel werden Holzglockenstühle aus Eiche und Douglasie, weniger oft aus Lärchenholz gefertigt. Eine qualitativ hochwertige Holzauswahl ist dabei besonders wichtig. Unumgänglich ist die Beachtung der DIN 4074, welche die Sortierklassen für Holz vorschreibt.

Wahlweise kann ein Holzglockenstuhl in zimmermannsmäßiger Ausführung erstellt werden, d.h. ohne die Verwendung von Metallelementen, oder mit stabilisierenden Zusatzbefestigungen aus rostfreiem Stahl an den Knotenpunkten (Nachspannsysteme). Da bei Neubauten das Holz nachtrocknet, ist ein regelmäßiges Nachspannen der Verbindungen unerlässlich und führt daher in den Anfangsjahren zu einem höheren Wartungsaufwand.

Abgesehen von einem ästethischen Mehrwert durch einen Holzglockenstuhl, sollte in einer Zeit der modernen Baustoffe auf Holz gesetzt und der traditionellen Jahrhunderte alten Zimmermannskunst der Vorzug gegeben werden.

 

Zimmermannsmäßig errichteter Glockenstuhlneubau von St. Marien zu Neubrandenburg
Zimmermannsmäßig errichteter Glockenstuhlneubau von St. Marien zu Neubrandenburg

Instandsetzung von Glockenstühlen

Auflagerung des Glockenunterstuhles auf Steinkonsolen am Braunschweiger Dom
Auflagerung des Glockenunterstuhles auf Steinkonsolen am Braunschweiger Dom

Nicht nur beim Glockenstuhlneubau, sondern auch bei Instandsetzungen ist eine grundlegende Beratung zu empfehlen. Hier sind insbesondere die Kenntnisse eines Glockensachverständigen gefragt, der Erfahrungen aus dem Bereich des Denkmalschutzes und der Baudenkmalpflege mitbringt. Vor allem bei historischen Holzglockenstühlen muss eine denkmalgerechte Sanierung erfolgen, wobei besonders auf Detaillösungen Wert gelegt werden sollte. Die Sanierung von Stahlglockenstühlen erfordert ebenfalls eine große Sachkenntnis. Hierbei ist zunächst der Umfang der Sanierungsarbeiten einzuschätzen. Dabei kann der Aufwand unter Umständen so groß sein, dass ein Neubau einer Sanierung bereits der Vorzug gegeben werden kann. Allerdings kann es ebenso möglich sein, dass Stahlglockenstühle aufgrund ihres Alters oder ihrer Konstruktion Denkmalwert besitzen, so dass eine sachgerechte Sanierungslösung erarbeitet werden sollte.

Freistehender Glockenstuhl der Maria Magdalena-Kirche zu Schlatkow (Mecklenburg-Vorpommern)
Freistehender Glockenstuhl der Maria Magdalena-Kirche zu Schlatkow (Mecklenburg-Vorpommern)

Unerlässlich ist in jedem Fall die Kenntnis des Glockensachverständigen zu den verschiedenen Konstruktionsprinzipien und Konstruktionsarten von Glockenstühlen, um fachlich qualifizierte Vorschläge für einen Neubau oder eine Sanierung unterbreiten zu können.