Wieder einmal gibt es etwas von Frankreichs größtem Glockenprojekt an der Kathedrale Notre Dame de Paris zu berichten – etwas Unerfreuliches.
Wie ich bereits im Oktober 2011 und Februar 2012 mitgeteilt habe, erhält Notre Dame im Zuge der 850-Jahr-Feier der Kathedrale im Jahre 2013 ein neues Geläut von neun Glocken. Die meisten Glocken sind bereits in der Gießerei Cornille Havard gegossen (Bild vom Guss). Eine der neuen Glocken ist bereits hier zu sehen. Auch der „kleine Bordun“, Petit Bordoun, welcher den Namen Marie tragen und im Nominal as° erklingen wird, wurde bereits in der niederländischen Gießerei Royal Eijsbouts gegossen, wie mir berichtet wurde.
In den damaligen Zeitungsmeldungen wurde davon gesprochen, die vier historischen Glocken aus der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgrund ihrer schlechten klanglichen Eigenschaften einzuschmelzen. Le Figaro zitiert die Verantwortlichen des Erzbistums Paris mit den Worten, dass die Glocken so schlecht wären, dass sie nicht einmal als Ausstellungsobjekte dienlich wären. Schon damals wurde eine Debatte unter Glockenfachleuten und der Öffentlichkeit ausgelöst. Diese Meldung wurde noch einmal in einem gestern erschienenen Zeitungsbericht in Le Figaro bestätigt, der ebenfalls von FranceTV und TF1NEWS wiedergegeben wird. Um die historischen Glocken von Notre Dame vor der Vernichtung durch Einschmelzen zu retten, ist nun ein Rechtsstreit entbrannt.
Die aktuelle Situation stellt sich wie folgt dar. Am 20. Februar diesen Jahres wurde das historische Geläut von Notre Dame ausgebaut und in der Gießerei Cornille-Havard zum Einschmelzen eingelagert. Seit dem Jahre 1905 ist der französische Staat Eigentümer der Glocken. Das Erzbistum Paris und das Domkapitel sind lediglich als „Hüter der Glocken“ für diese zuständig. Für den weiteren Verbleib und deren Schutz ist damit ist in erster Linie der Regionalkonservator der Regionalen Direktion für kulturelle Angelegenheiten der Ile-de-France, La communauté rencontre la Direction régionale des affaires culturelles d’Ile-de-France (Drac), verantwortlich. Dennoch scheint es so, als würde sich das Erzbistum Paris in die Frage des Verbleibes der Glocken einmischen – allerdings nicht im Sinne eines Bestandsschutzes für diese Kulturgüter.
Nach Ausbau der Glocken gab es offensichtlich zahlreiche Interessenten aus dem In- und Ausland für diese, darunter auch die benediktinische Abtei Sainte-Croix de Riaumont (im Pas-de-Calais) mit einem angeschlossenen Pfadfinderorden und einer (Gesangs-)Schule. Da die Abtei an einer neuen Kirche baut, trat der dortige Prior Alain Hocquemiller mit der Drac in Verbindung und bat darum, die Glocken für die im Bau befindliche Kirche übernehmen zu dürfen. Wie der Prior auch heute noch einmal auf der Homepage der Abtei schreibt, möchte er die Glocken vor einer unnötigen und nicht zu akzeptierenden Zerstörung bewahren. Neben ihrem religiösen und musikwissenschaftlichen Wert führt er den historischen Wert der Glocken an. So hätten sie neben ihrem liturgischen Dienst auch große geschichtliche Ereignisse als erste in Paris verkündet, so den Waffenstillstand im Jahre 1918, die Befreiung von Paris im Zweiten Weltkrieg oder auch den Besuch von Papst Johannes Paul II. im Jahre 1980. Der Prior der Abtei und die Drac wurden sich schließlich einig – man bot wohl eine Summe von 24.000 Euro, nachdem man sich fachkundigen Rat eingeholt hatte – und so wurde im Juli durch den leitenden Regionalkonservator der Drac bei einem Gespräch eine mündliche Zusage zur Übernahme der Glocken durch die Abtei erteilt. Die Drac stellte allerdings zur Bedingung, dass das Erzbistum Paris seine Zustimmung zur Übernahme geben müsse, auch wenn diese nicht Besitzer der Glocken seien. Prior Alain Hocquemiller versuchte daraufhin mit der zuständigen Stelle im Pariser Erzbistum in Kontakt zu treten und eine gütliche Einigung zu erwirken. Leider reagierte nach Darstellung von Alain Hocquemiller das Erzbistum über Wochen nicht auf die Anfragen. Im Oktober erkärte nun die Observatoire du Patrimoine Religieux (OPR), dass man auf Wunsch des Erzbischofs nicht in der Lage sei, einer Weitergabe der Glocken zuzustimmen. Stattdessen sollten sie der Einschmelzung zugeführt werden. Da der Prior Alain Hocquemiller nun ersthaft um die Existenz der Glocken fürchtete, beantragte er mit Erfolg eine gerichtliche Verfügung, die sich auf ein Gesetz vom 15. Juli 2008 bezieht, wonach kulturelles Erbe (u.a. Archive, aber auch mobile Denkmale – hier die Glocken) vor Zerstörung bewahrt werden muss. Am letzten Donnerstag wurde der Gießerei Cornille-Havard, in der die Glocken gelagert werden, durch einen Gerichtsvollzieher eine richterliche Anordnung übergeben, wonach die Glocken nicht zur Einschmelzung gebracht werden dürfen. Zudem erfolgte eine richterliche Beschlagnahme der Instrumente bis zur weiteren Klärung der Rechtslage. Damit scheint zunächst einmal die Vernichtung der Glocken gestoppt zu sein. Aufgrund des gesteigerten öffentlichen Interesses und der nun stattgegebenen Rechtslage zum Schutz von Denkmälern kann nur gehofft werden, dass von einem Einschmelzen der Glocken Abstand genommen wird.
Warum verweigert das Erzbistum Paris die Zustimmung zur Weiterverwendung der Glocken? Auf Grundlage der Berichterstattung stellt sich mir die Position des Erzbistums wie folgt dar. Es scheint so zu sein, dass die historischen Glocken über Gebühr von den Verantwortlichen als schlechte Instrumente – sowohl musikalisch als auch gußtechnisch – dargestellt werden, um einen Austausch der alten Glocken und damit das riesige Glockenprojekt, welches 2 Millionen Euro kosten und größtenteils durch Spenden realisiert werden soll, vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Das Glockenprojekt stellt bei den angesetzten Arbeiten zum 850. Jubiläum der Kathedrale den größten finanziellen Posten dar. Man will die historischen Glocken nicht mehr für die Kathedrale nutzen, will aber gleichzeitig auch nicht, dass sie an anderer Stelle weiterhin einen sinnvollen liturgischen Dienst tun können. Argumente für diese Vorgehensweise werden nicht genannt. Le Figaro zitiert in seinem Bericht Mgr. Patrick Jacquin, Erzpriester-Rektor der Kathedrale und Vorsitzender des Vereins Notre-Dame de Paris 2013, mit den Worten, dass man die Glocken nicht der Abtei überlassen wolle. Sie sollen geschmolzen werden – fertig. Dass bei dieser Handlungsweise offensichtlich die Vernichtung von Kulturgut billigend in Kauf genommen wird, ist in keinster Weise verständlich. Glücklicherweise regt sich auch in der Öffentlichkeit Widerstand zu dieser Haltung, wie in den Kommentaren der Berichte zu lesen ist. An dieser Stelle wird weiterhin von der „causa Notre Dame“ zu berichten sein.
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Im nachstehenden Video hören Sie nach dem Einsetzen der Bordunglocke Emmanuel die zur Vernichtung vorgesehen Glocken.