Bedeutendes Glockenprojekt der Marienkirche zu Frankfurt (Oder)

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Marienkirche zu Frankfurt (Oder)

Die große gotische Stadtpfarrkirche St. Marien zu Frankfurt (Oder) ist eines der bedeutendsten Bauwerke Brandenburgs. Von weitem sichtbar ist der mit einem Zinnenkranz auffällig verzierte Nordturm, welcher aber kein Geläut trägt. Dies soll sich nun ändern.
Einst beherbergte die Marienkirche eines der bedeutendsten Großgeläute des 14. und 15. Jahrhunderts, wovon sich bis heute nur noch eine Glocke erhalten hat. Das klangliche Fundament bildete die im Jahre 1371 gegossene Glocke Osanna. Wie auch die übrigen Glocken war sie in überschwerer Rippe gegossen, was ihr ein Gewicht von ca. 5.000 kg bei einem Durchmesser von 1,97 m einbrachte. Die zweitgrößte Glocke, die so genannte Mittelglocke, wurde im Jahre 1426 mit einem Gewicht von heute 4.120 kg gegossen. Sie besitzt den Nominal d1 -4 und dürfe nach der 1409 aus der Glockengießerwerkstatt Rickert de Monkehagen (Nominal d1 -1 bei 4.226 kg) stammenden Großen Glocke der Marienkirche zu Rostock die zweitschwerste Glocke Deutschlands mit dem Nominal d1 sein. Als Einzige hat sie die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges fast unbeschadet überstanden. Die Glocken III, V und VI wurden alle um 1350 mit Gewichten von 2.150 kg, 1.600 kg und 175 kg gegossen. Über Glocke IV steht dem Verfasser zur Zeit noch kein historisch verwertbares Material zur Verfügung, so dass über diese Glocke keine Aussage getroffen werden kann.
Picture taken by Ralf Lotys. – This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.Die Mittelglocke sowie die noch näher zu bestimmende Glocke IV wurden im Juli 1942 zur Rüstungsproduktion enteignet und auf den Hamburger Glockenfriedhof verbracht. Die übrigen vier Glocken stufte man aufgrund ihres Wertes in die Gruppe D ein, d.h. in das Verzeichnis der Bronzeglocken im Reich, deren dauernde Erhaltung wegen ihres hohen geschichtlichen oder künstlerischen Wertes befürwortet wird. Die im Turm verbliebenen vier Glocken wurden ein Opfer der Angriffe im April 1945, als die Stadt und damit auch die Marienkirche in einem Flammenmeer unterging.
Von den beiden nach Hamburg transportierten Instrumenten entging die Mittelglocke der Einschmelzung und kehrte im Dezember 1949 nach Frankfurt (Oder) zurück.
Umfassend konnte mit dem Aufbau der Kirchenruine erst ab dem Jahre 1990 begonnen werden, so dass an eine Aufhängung der Glocke im Glockenturm während der DDR Zeit nicht zu denken war. Im November 2007 erfolgte schließlich der erste Schritt zur Wiederherstellung des Geläutes. Der Ausbruch eines größeren Stückes Bronze im Schlagringbereich der Mittelglocke, welcher sicherlich im Zusammenhang mit dem Transport auf den Glockenfriedhof nach Hamburg steht, konnte im Glockenschweißwerk Lachenmeyer behoben werden. Die Glocke kehrte allerdings erst im Juli 2009 wieder an die Marienkirche zurück.
In diesem Jahr wurde nun ein Spendenaufruf zur Wiederherstellung des Marienkirchengeläutes gestartet. Dabei ist die Errichtung eines Holzglockenstuhles im Nordturm sowie der Guß von drei neuen Glocken vorgesehen. Zukünftig soll ein Idealquartett wieder zu Gottesdiensten in die Marienkirche einladen. Im einzelnen soll das Geläut wie folgt aussehen:

Glocke 1:
Neuguss nach Vorbild der alten Glocke Osanna von 1371 mit Nominal h0 -6 bei einem Gewicht von ca. 5.400 kg

Glocke 2:
Restaurierte Mittelglocke von 1426 mit Nominal d1 -4 bei einem Gewicht von 4.120 kg

Glocke 3:
Neuguss nach Vorbild der Glocke von ~ 1350 mit Nominal e1 -3 bei einem Gewicht von ca. 2.850 kg

Glocke 4:
Neuguss nach Vorbild der Glocke von ~ 1350 mit Nominal g1 -2 bei einem Gewicht von ca. 1.700 kg

Die Besonderheit in diesem Projekt liegt nun in der immensen Schwerrippigkeit der neu zu gießenden Glocken. Ausgehend von der noch erhaltenen historischen Mittelglocke soll ein Geläut geschaffen werden, welches durch die schwere der Einzelglocken in der deutschen Glockenlandschaft ein wenig herausragen wird. Das solch schwerrippige Glocken zumeist eine ganz besondere Klangentfaltung haben, beweisen die im Nominal hliegenden Glocken des Konstanzer Münsters (1584 mit ~ 7.000 kg gegossen), der Basilika in Weingarten (1490 mit 6.190 kg gegossen), der St. Nicolaikirche in Zerbst (1378 mit 4.540 kg gegossen) oder auch der Lorenzkirche in Nürnberg (1953 mit 4.407 kg gegossen).
Die genauere Verfolgung dieses Projektes wird sicherlich spannend bleiben.